„Selinas Geister”, Original “Affinity”, war das zweite Buch von Sarah Waters, das ich mir gönnte – und für mich ist es die bislang einzige Enttäuschung ihrer lesbischen Romane. Ein Buch, das frustriert.
Der Klappentext:
Margaret ist mit ihren 27 Jahren im viktorianischen England bereits eine alte Jungfer. Sie lebt noch bei ihrer Mutter, der Vater ist vor kurzem gestorben. Margaret nimmt, um schlafen zu können, jeden Abend Laudanum; ihre Tage vergehen in einer Art betäubtem Müßiggang. Da ihr dieser Zustand unerträglich ist, beschließt sie, mehrmals in der Woche im Frauengefängnis Millbank, einem düsteren Ort ohne Trost und Hoffnung, karitative Arbeit zu verrichten, indem sie mit den Gefangenen spricht. Bereits bei einem der ersten Besuche lernt Margaret Selina kennen, die wegen Betrugs und Diebstahls zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Dennoch scheint Selina auf Margarets Zuspruch nicht angewiesen zu sein, denn sie steht in einer engen Beziehung zu ihren Geistern. Selina ist ein Medium, und sie weiß, daß die Geister, die sie besuchen kommen, sie eines Tages auch befreien werden. Der zunächst skeptischen Margaret liefert Selina einen Beweis nach dem anderen für ihre spirituellen Kräfte. Zwischen den beiden Frauen entsteht eine enge Beziehung, in deren Verlauf Selina die Verführerin und Margaret die Verführte ist. Und dann rückt der Tag von Selinas Flucht immer näher … Sarah Waters‘ mehrfach preisgekrönter Roman erzählt die unheimliche Geschichte um Freundschaft und Verrat zweier gegensätzlicher Frauen.
Mein Leseerlebnis:
Der Klappentext verrät eigentlich alles wichtige bereits. Margaret lebt ein eintöniges Leben, das nur aus Grau in Grau besteht. Da die Geschichte aus ihrer Perspektive erzählt wird, kann der Leser den Frust und die Depression ihres Lebens sehr gut nachempfinden. Das ist auch das, was ich dem Buch vielleicht zu Gute halten möchte: Die aussichtslose Situation für eine “alte Jungfer” im 19. Jahrhundert, die zudem auch noch lesbische Neigungen hat und dementsprechend noch weniger Chancen, eine für sie glückliche Lösung der Lage zu finden, wird hier sehr eindrücklich beschrieben. Das sind Missstände aufgrund von sozialen Normen und Genderrollen, die mich heute noch nachträglich für alle Frauen jener vergangenen Tage traurig und wütend machen.
Allerdings kommt hier hinzu, dass Margaret auch nicht wirklich viel unternimmt, sich aus ihrer Situation zu befreien. Eher fällt sie reichlich naiv auf das mysteriöse Getue der Gefangenen und Geisterbeschwörerin Selina herein und steigert sich da in etwas hinein, was ich nicht wirklich nachvollziehen konnte. Ich hätte ihr ja gegönnt, dass da was Gutes raus wird – aber wirklich daran geglaubt hab ich zu keinem Zeitpunkt. Außerdem hoffte ich die ganze Zeit, dass noch etwas total Unerwartetes ans Licht kommt, sich noch etwas total dreht – wie in den anderen Büchern von Sarah Waters, die ich so liebe – aber denkste. Was am Ende passiert, hat mich nicht begeistern können. Im wahrsten Sinne von begeistern. Haha 😉
Fazit: Sarah Waters versteht auch hier eine authentische vergangene Welt heraufzubeschwören, jedoch klappt das mit den vermeintlichen Geistern nicht so wirklich. Außerdem sollte hier niemand auf eine lesbische Liebesgeschichte warten. Wer das tut, läuft Gefahr, ähnlich trübsinnig wie die Protagonistin zu werden.
❤ ❤
Meine weiteren Rezensionen zu Sarah Waters Büchern mit lesbischer Thematik:
Fremde Gäste
Die Frauen von London
Solange du lügst
Die Muschelöffnerin
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