Klare Buchempfehlung: Ich habe mir Sarah Waters jüngstes Werk „Fremde Gäste“ (englisch: „The Paying Guests“) gegönnt. Das Buch erscheint am 14. Juli 2016 in deutscher Sprache im Bastei Lübbe Verlag. Und es lohnt sich.
Der Klappentext:
London, 1922. Die 28-jährige Frances Wray und ihre Mutter sind gezwungen, Untermieter in ihrem Stadthaus aufzunehmen, um über die Runden zu kommen, seit der Vater und die beiden Brüder im Krieg gefallen sind. Mit der Ankunft von Lilian und Leonard Barber, einem modernen jungen Ehepaar, ändern sich die Atmosphäre und die Routinen des Hauses auf ungeahnte Weise. Und als sich eine zarte Liaison zwischen den beiden jungen Frauen anbahnt und das anfängliche Misstrauen des Ehemannes in blanken Hass umschlägt, nimmt eine Tragödie unaufhaltsam ihren Lauf …
Mein Leseerlebnis:
Zur Geschichte lässt sich erst einmal sagen: Typisch Sarah Waters – wieder befinden wir uns in vergangenen Zeiten. Dieses Mal in den Zwanzigerjahren Englands. Die Bevölkerung ist noch gebeutelt vom ersten Weltkrieg, ein jeder hat Verluste zu betrauern. So auch Frances. Alle männlichen Familienmitglieder sind tot – und der Vater hinterließ sie und ihre Mutter auch noch mit schlimmen Geldsorgen. Um das Haus halten zu können, nehmen sie die Barbers als Untermieter auf. Während Frances sofort einen Draht zu der hübschen Lilian Barber findet, ist ihr Leonard Barber und seine chauvinistische Art eher suspekt…
Das Buch lässt sich Zeit, die Annäherung zwischen Frances und Lilian zu erzählen – was mir sehr gut gefallen hat. Meisterhaft gelingt es der Autorin mit ihren Worten das zunächst subtile und später nahezu explodierende Verlangen zwischen den beiden Frauen zu schildern. Als Leser geht man den kompletten Weg mit, vom ersten Funken Sympathie über brennende Leidenschaft bis hin zur nervenaufreibenden Dramatik – denn natürlich bewegen sich Frances und Lilian in einer äußerst heiklen Situation. Eine lesbische Liebe hat keinen Platz in der Gesellschaft der 1920er. Zudem ist Lilian verheiratet und finanziell abhängig von ihrem Mann, während Frances ebenfalls über kein Einkommen verfügt und sich ihrer Mutter und dem Haus verpflichtet fühlt. Welche Zukunft kann die Beziehung der beiden Frauen überhaupt haben?!
Und dann kommt es zum Turning Point und die Stimmung des Buchs kippt in zunehmende Aussichtlosigkeit – und bleibt doch spannend. Ich habe einen Tag durchgelesen, weil ich nicht abwarten konnte, wie sich das Ende dieser Geschichte bloß darstellen würde.
Die Protagonistin Frances war mir persönlich sehr sympathisch, ihre Gedanken und Sorgen konnte ich gut nachvollziehen und dementsprechend litt ich mit. Alle anderen Charaktere werden vornehmlich durch Frances Augen wahrgenommen und dementsprechend kann sich der Leser nie sicher sein, was ihre wahren Intentionen sind. Lilian ist süß, Lilian ist nett – aber wie steht sie eigentlich zu ihrem Ehemann tatsächlich? Und ist Leonard wirklich so ein Chauvi, oder ist er nicht eigentlich ganz Ok…? „The Paying Guests“ nimmt den Leser mit. Das einzige, was mir stellenweise etwas zäh daher kam, war das letzte Drittel – es wird etwas juristisch.
Aus meinen vorherigen Erfahrungen mit vier anderen Büchern der Autorin kann ich ohnehin schon sagen: Ich liebe Sarah Waters Bücher. Bei jedem Lesen bin ich hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen, schnell weiterzulesen, am besten in einem durch – und der Furcht vor dem Ende, wenn ich das Buch zuklappen und wegstellen muss. Bei „The Paying Guests“ ging es mir nicht anders – statt das Buch nach dem Auslesen direkt in den Schrank zu stellen, lag es sogar noch einige Tage auf meinem Nachttisch. Ich konnte mich einfach nicht trennen…
<3 <3 <3 <3 <3
Meine weiteren Rezensionen zu Sarah Waters Büchern mit lesbischer Thematik:
Die Frauen von London
Solange du lügst
Selinas Geister
Die Muschelöffnerin
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