Sarah Waters erster lesbischer Roman ist mittlerweile ein junger Klassiker des Genres. “Die Muschelöffnerin” (im Original “Tipping the Velvet”) erzählt von der jungen Nancy Astley, die Ende des 19. Jahrhunderts ihrem Schwarm Kitty Butler in die faszinierende Welt des Theaters folgt – und auf die harte Tour zu lernen hat, ein freies Leben als lesbische Frau führen zu können.
Der Klappentext:
„Die Muschelöffnerin“, ein fesselnder, vielschichtiger und erotischer Liebesroman, spielt in der viktorianischen (Halb-)Welt der wilden 1890er Jahre und erzählt von der schillernden Karriere der Nancy Astley: Als Kind arbeitet sie als Muschelöffnerin im elterlichen Austernrestaurant an der Küste von Kent. Zu ihren wenigen Vergnügungen zählen die Besuche in der Music Hall im nahegelegenen Canterbury. Dort sieht sie eines Tages die »Herrendarstellerin« Kitty Butler auf der Bühne. Die junge Sängerin und Schauspielerin lässt sich auf Nancys verliebte Schwärmerei ein und beginnt eine Liebesbeziehung mit ihr. Die neunzehnjährige Nancy verlässt ihr Elternhaus und folgt Kitty nach London, erst als Garderobenmädchen, dann steht sie selbst mit ihr zusammen als Duo in Männerkleidern auf der Bühne. Doch anders als Nancy, die glücklich ist, ihre große Liebe gefunden zu haben, kann Kitty sich nicht zu Nancy bekennen …
Mein Leseerlebnis:
Mich hat die Geschichte der jungen Nancy sofort in ihren Bann gezogen. Das mag einerseits daran liegen, dass ich einfach einen Faible für das 19. Jahrhundert habe, als auch andererseits daran, dass Nancys Story schlicht herausragend erzählt ist. Es war mir, als bekennendem Musical-Fan, ein Leichtes nachzuvollziehen, welch Faszination Nancy beim Anblick von der Cross-Dress-Künstlerin Kitty Butler ereilt haben muss. Dieser Flash der ersten Verknalltheit, der Nancy dazu bringt, wie ein kleiner Stalker jede Aufführung ihres Schwarms zu besuchen und wie durch ein Wunder dann tatsächlich in Kontakt mit ihr treten zu können – herrlich. Nancys ungestüme Leidenschaft bringt sie soweit, alles stehen und liegen zu lassen, um mit Kitty ans Theater in London zu wechseln – eine großartige, wenn auch folgenreiche Entscheidung für die gerade mal 19-Jährige im strengen viktorianischen England. Denn kaum nachdem ihre lesbische Liebe zu Kitty ihrer Schwester aufgefallen und rüde abgelehnt worden ist, kappt sie ihren Kontakt zur Familie. Und kaum nachdem sich Kitty als nicht gerade treu erwiesen hat, steht Nancy ganz alleine da.
Was für Nancy nun folgt, ist ein mitreißendes Auf und Ab, dass sie nicht nur an die Grenzen ihrer Geschlechtsrolle (denn zeitweise erweist es sich für sie als lukrativer, als verkleideter Mann durch London zu ziehen), sondern auch an die Grenzen ihrer Existenz bringt. Sie begegnet einer Reihe exzentrischer Personen und Lebenswelten – wie einer Art lesbischen Club mit eigentümlichen Kostümpartys – und findet schließlich doch einen Platz für sich in der Welt, den sie vorher sicher so nicht erwartet hätte. Dabei dreht das Buch den Leser durch die emotionale Mangel. Ich habe mit Nan gelitten und – was das Wichtigste an jeder romantisch angelegten Geschichte ist – auch geliebt. Und am Ende leicht stolz festgestellt, wie erwachsen Nancy im Verlauf ihrer turbulenten Lebensgeschichte wird.
Fazit: Selbst Menschen, die nicht gerne in der Vergangenheit angelegte Bücher lesen, können “Die Muschelöffnerin” nur mögen. Die Gefühle, die zerronnenen wie die erfüllten Träume und die schwierige Reise zu sich selbst – das sind die Themen, die vermutlich jeder kennt. Zudem geizt das Buch nicht mit erotischen Szenen. Ein Buch zum Herzen höher schlagen lassen!
<3 <3 <3 <3 <3
Auch einen Blick wert: Die BBC-Verfilmung des Buchs
Meine weiteren Rezensionen zu Sarah Waters Büchern mit lesbischer Thematik:
Fremde Gäste (The Paying Guests)
Die Frauen von London (The Night Watch)
Solange du lügst (Fingersmith)
Selinas Geister (Affinity)
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