„The Night Watch“, oder zu deutsch „Die Frauen von London“, ist der vierte Roman mit lesbischer Thematik von Autorin Sarah Waters, an welchen ich mich herangewagt habe. Obwohl er bereits seit 2007 auf dem Markt ist, habe ich eine Weile gebraucht, bis ich ihn lesen wollte – denn er ist, ungewöhnlicherweise, rückwärts erzählt. Ein interessantes Leseerlebnis…
Der Klappentext:
Sarah Waters schildert das Schicksal von vier selbstbewussten Frauen und einem jungen Mann im London des Zweiten Weltkriegs und in den ersten Jahren danach. In einer Zeit, in der das Leben durcheinander geriet, war ihr Alltag geprägt von verbotenen Liaisons und sexuellen Abenteuern, die sie bis heute auf geheimnisvolle Weise verbinden.
Mein Leseerlebnis:
Sarah Waters nimmt den Leser mit in eine trübe Welt zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs. Die Gesellschaft ist noch festgefahren in konservativen Geschlechterrollen und lebt in ständiger Furcht vor dem nächsten Bombenalarm oder, später, in einer melancholischen Nachkriegsstimmung. Zunächst 1947, dann 1944 und schließlich 1941 begegnen wir bestimmten Charakteren, die alle mit ihren eigenen Schicksalen zu kämpfen haben und doch über verworrene Beziehungskonstellationen miteinander verbunden sind: Die lesbischen Charaktere Kay, Julia und Helen, sowie auch Viv, die sich in einer Affäre zu einem verheirateten Mann befindet, und Vivs jüngerer Bruder Duncan. Sie alle lieben, leiden und schlagen sich durch ihren Alltag – und durch das anti-chronologische Lesen ihrer Geschichten erschließen sich dem Leser nach und nach die Zusammenhänge der jeweiligen Schicksale.
Während ich las, dachte ich mir das ein oder andere Mal, dass man die Geschichte auch einfach chronologisch hätte erzählen können. Ich habe mir sogar gewünscht, es würde noch einmal einen Sprung in die Zukunft am Ende des Romans geben – weil ich mich zunächst schwer tat, mich mit dem Ende abzufinden, was das 1947er Kapitel für den einen oder anderen Charakter bot. Wäre das 1941er Kapitel nicht nur das Ende des Buches, sondern auch das tatsächliche Ende der Geschichte, endete das Buch für manchen Charakter an einem schöneren Punkt als mit dem eigentlichen Ende der Geschichte — verworren, was?! In jedem Fall fördert die Erzählweise, so rückwärtsgewandt, die unterschwellige Melancholie des ganzen Romans. Wäre damals doch… Hätte sie doch… Ach! Beim Zuklappen des Buchs wurde mir schwer ums Herz, wusste ich doch, was auf die Charaktere noch zukommen würde.
Wie immer erzählt Sarah Waters einfühlsam von den Gefühlen und Gedanken ihrer Charaktere – mein Eindruck ist, dass sie ein hervorragendes Gespür dafür besitzt, nie zu viele oder zu wenige Wörter zu benutzen. So wuchsen mir die Figuren ans Herz, jede einzelne der fünf Hauptfiguren auf ihre Art, obgleich ich nicht jede ihrer Handlungen gut heißen konnte…
„But isn’t it funny – we never seem to love the people we ought to…“
Dieser Satz, den Kay am Ende des Buchs sagt, fühlte sich für mich wie die melancholische Quintessenz des Romans an. Das Geheimnis der Liebe, wer liebt wen und warum liebt man den einen Menschen und den anderen nicht – unterschwellig sind es genau diese Fragen, die jeden Hauptcharakter des Buchs umtreiben. Beantwortet werden diese Fragen nicht – aber in all ihrer Komplexität lesbar und spürbar gemacht.
<3 <3 <3 <3 <3
Ich hab’s noch nicht gesehen, aber das Buch ist 2011 ebenfalls von der BBC verfilmt worden:
Meine weiteren Rezensionen zu Sarah Waters Büchern mit lesbischer Thematik:
Fremde Gäste
Solange du lügst
Selinas Geister
Die Muschelöffnerin
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