Annie Kreß ist 23 Jahre alt und kam lange selbst nicht auf den Trichter, dass sie lesbisch ist. Doch dann machte sie Homosexualität zu ihrem Thema und Unternehmen: Heute betreibt Annie einen lesbischen Blog, ein lesbisches Modelabel und ein Portal für lesbische Medien. Ich habe mich mit ihr über ihre Projekte, schwindende queere Räume und die Lage der Welt unterhalten…
Annie! Wann hast du gemerkt, dass du auf Frauen stehst und wie bist du damit umgegangen?
Für mich das lange Zeit gar kein Thema. Ich komme aus einem kleinen Dorf in Bayern und in meinem Kopf gab es gar nicht die Möglichkeit, dass ich lesbisch sein könnte. Erst als ich zum Studium in eine andere Stadt gezogen bin (nach Regensburg, später Berlin) wurde es mir wirklich klar. Da hat sich bei mir ein Schalter umgelegt! Ich habe mit einer Freundin, die längst als lesbisch geoutet war, angefangen The L-Word zu gucken und dann hat sie mich auch mal mit auf eine Lesbenparty genommen… und so kam es dann.
Wie kam es zu dem Entschluss, mit dem Thema Lesbischsein nach draußen zu gehen, dein Gesicht hinzuhalten und Rainbowfeelings zu starten?
Ich hatte von Anfang an beim Thema Lesbischsein und Coming-out einen ziemlichen coolen Support. Bei einem lesbischen Gruppentreffen habe ich sofort am ersten Abend tolle neue Freundinnen gefunden, die mich direkt an die Hand genommen haben. Das hat mir sehr geholfen und so kam auch recht schnell der Umschwung von “Ich fühl mich nicht ganz wohl damit” zu “Yeah, ich bin Teil der Community”! Ungefähr anderthalb Jahre nachdem ich diese Gruppe besucht hatte, kam in mir der Wunsch auf, diese Unterstützung auch anderen zu geben. Ich dachte mir, es gibt bestimmt so viele Mädchen da draußen, die vielleicht nicht dieses Glück haben, schon Freundinnen zu kennen, die auch lesbisch sind. Mädchen, die niemanden zum Reden haben. Das Internet ist eine supergeile Möglichkeit, um viele Leute zu erreichen und die Hemmschwelle sich darüber über Homosexualität auszutauschen ist viel niedriger, als zum Beispiel zu einem lesbischen Gruppentreffen zu gehen. Da habe ich Potenzial gesehen.
Also hast du Rainbowfeelings als Hobby gestartet, um anderen zu helfen?
Jein. Ich bin zu derselben Zeit mit dem Thema digitales Nomadentum in Kontakt gekommen und habe mich damit beschäftigt, wie es funktioniert, dass manche Blogs so professionell laufen und andere völlig verwaist sind. Ich dachte mir, wenn ich schon was mache, dann will ich es auch richtig machen! Ein Hobby sollte Rainbowfeelings also nie sein, sondern tatsächlich professionell. Ich habe dann auch Blogging-Kurse besucht und all meine Energie darein gesteckt.
Wie kam es zu deinem eigenen Modelabel, Rainbowfashion, und neuerdings der Plattform für lesbische Medien, Rainbowlife?
Mir war relativ schnell klar, wenn ich das ganze wirklich professionell aufziehen will, ist das ein 40-Stunden-Job. Neben dem Studium ist das vielleicht noch machbar – aber nicht mehr, wenn ich irgendwann fertig studiert habe und einen Beruf ausübe. Also war die Entscheidung: Entweder der Blog wird so gut, dass ich irgendwann davon leben kann und weiter meine ganze Energie darein stecken kann – oder er wird irgendwann einfach abreißen. Und das wäre super schade. Ich benötigte eine Art Business-Modell und so kam ich auf die Idee mit der Pride Fashion. In den USA gibt es schon viel queere Fashion, aber in Deutschland kaum. Seit einem Jahr betreibe ich jetzt Rainbowfashion – und das ist voll abgegangen. Am Anfang dachte ich, Na gut, probier ich das halt aus und wenn es keiner kauft, whatever… Aber ja, die Leute fanden es richtig cool!
Im Januar hatte ich eine weitere Idee. Im Prinzip mache ich meine Webseiten alle als Lösungen für Probleme, die ich selbst in der Vergangenheit hatte. Ein weiteres dieser Problem war, dass ich gerade in meiner Coming-out Phase gerne lesbische Serien und Filme geschaut oder Bücher gelesen habe – aber nicht viele finden konnte. Es fehlte eine richtige, gute Übersicht. Ich hatte Bock auf einen coolen, lesbischen Shop für Bücher und DVDs. Daraus entstand dann Rainbowlife.
Und dann betreibst du auch noch die Rainbowfeelings Community…
Ja, genau. Die habe ich gegründet, weil ich das Gefühl hatte, es gibt super viele lesbische Facebook-Gruppen – aber die meisten bestehen nur aus “Hey Leute, guckt euch mein Selfie an”. Es geht kaum darüber hinaus. Ich wollte unbedingt einen geschützten Raum schaffen, in dem sich Lesben kennenlernen können. Die Gruppe sollte sinnvoll aufgebaut sein – und auch das hat gut geklappt. Ich habe den Eindruck, dass so eine Möglichkeit, um sich auszutauschen, wirklich noch gebraucht wird.
Was ich mich gerade frage… Du hast das alles so aufgebaut, damit du mal davon leben kannst und das Vollzeit betreibst. Jetzt ist das Thema Lesbischsein schon eher eine Nische. Glaubst du, das hat das Potenzial, einmal tatsächlich davon leben zu können?
Ähm, wird sich zeigen! Ich glaube natürlich daran. Gerade Nischen haben großes Potenzial. Ich hätte natürlich auch den 500.000sten Reise-Blog aufbauen können, aber da ist ja schon alles da. Lesbische und queere Räume gehen leider immer mehr zurück. Die letzte lesbische Bar hat letztes Jahr in Berlin geschlossen, die große amerikanische Webseite Afterellen ist runtergefahren worden… Trotzdem, oder gerade deswegen, wird Raum für lesbische Thematik gerade jetzt gebraucht.
Hast du eine Ahnung, warum lebischer und queerer Raum schwindet – obwohl die Gesellschaft immer offener wird?
Ich glaube, das ist ein Punkt davon. Es ist toll, dass die Gesellschaft immer offener wird. Aber ich glaube, das macht auch, dass manche Lesbe nicht mehr glaubt, sich vernetzen zu müssen, weil sie ja – eigentlich – schon überall anerkannt wird. Wäre auch toll, wenn es irgendwann gar keine Coming-outs mehr benötigen würde, weil alle so offen geworden sind – das sehe ich aber noch nicht. Nicht in den nächsten 20 Jahren. Gerade für Leute, die noch ganz am Anfang sehen, die keine Community haben, bleibt es weiterhin super wichtig, dass es Projekte und Webseiten gibt, die ihnen Hilfe anbieten. Ich habe auch den Eindruck, dass sich queere Szenen – vorallem in Berlin – selbst zerfetzen. Es ist schwierig, in der queeren Szene alle miteinzuschließen, ohne dass sich andere wieder ausgeschlossen fühlen. Ich als Bloggerin habe den Vorteil, dass ich nur aus meiner Perspektive schreiben kann und nur die einbeziehe, die ich damit erreichen möchte. Organisationen haben es da viel schwieriger.
Wie ist dein Eindruck der lesbischen Repräsentanz heutzutage?
Es wird auf jeden Fall immer besser – aber es geht noch mehr! Die Tabus, die es vor 10 Jahren noch gab, gibt es nicht mehr. Auf der anderen Seite – dadurch, dass rechte Gewalt wieder mehr wird, kann das auch wieder zurückgehen. Ich sehe aber grundsätzlich positiv in Zukunft – zumindest für uns in Deutschland.
Ist schon irgendwie merkwürdig – auf der einen Seite ist Homosexualität präsent wie nie, auf der anderen Seite bekommen rechte Parteien starken Zulauf…
Ich habe den Eindruck, die Gesellschaft spaltet sich stark. Zum Beispiel habe ich letztens von einer Studie gehört, die besagt, dass sich so viele Menschen wie nie in den USA als queer definieren. Und auf der anderen Seite steigt dagegen die Homophobie. Warum das so ist – keine Ahnung! Aber Aufklärung ist auf jeden Fall der richtige Weg.
Hast du jemals negative Erfahrungen damit gemacht, dich mit dem Thema Lesbischsein so in die Öffentlichkeit zu stellen?
Nein, eigentlich nicht. Klar, es gibt mal Facebook-Kommentare, wo Leute doof reagieren. Also doch, teilweise schon – aber ich verdräng das dann. Blöde Leute gibt es überall, egal was du machst. Wenn du irgendetwas machst, das nicht in das konservative Weltbild reinpasst, wirst du immer mal einen drauf bekommen. Auch andere Blogger-Freundinnen von mir, die ganz andere Themen haben, bekommen schon mal blöde Kommentare. Ich hatte am Anfang etwas Angst, dass ich viel mehr negative Reaktionen bekommen würde. Es ist schon so, dass ich einen negativen Kommentar viel stärker wahrnehme, als zehn positive – aber von diesem Mechanismus muss man ganz allgemein wegkommen, egal, was man macht.
Hast du weitere Projekte in Planung? Wohin geht die Reise?
Jetzt gerade mal in die Uni! Ich versuche, das alles nebenbei zu jonglieren… Deswegen sind momentan auch keine neuen Projekte geplant. Kann natürlich sein, dass ich eine kreative Welle bekomme – aber hauptsächlich geht es darum, alles erstmal in Stand zu halten. Nach dem Bachelor möchte ich mich dann voll auf die Projekte konzentrieren. Die Uni hat mir viel gegeben – aber im Endeffekt sehe ich mich mehr im praktischen Bereich. Ich möchte so viel positives in die Welt bringen, wie möglich – auch wenn ich über Probleme schreibe, gibt es immer am Schluss einen Lösungsansatz. Der Langzeit-Plan ist, nach dem Studium mit meiner Freundin als digitale Nomaden nach Bali zu gehen.
Klingt echt spannend! 🙂 Vielen Dank für das Gespräch, liebe Annie, und viel Erfolg weiterhin!
Mai 30, 2017 um 10:14 am
Hi Lina,
vielen Dank für das tolle Interview! Und auch für die wundervolle Arbeit, die du hier auf Frauverliebt für unsere Community machst!
Alles Liebe,
Annie
Juni 1, 2017 um 1:45 pm
Super gerne, liebe Annie! 🙂