Jenny, 20, ist YouTuberin und outete sich in einem ihrer Videos als lesbisch. Auf ihrem Kanal RainbowCookie besprach sie allerlei Themen ihres Lebens als Frau, die auf Frauen steht. Doch dann geschah etwas Unerwartetes – sie verliebte sich in einen Mann! Was heißt das jetzt für sie und ihr Lesbischsein? In einem Interview spreche ich mit ihr über sexuelle Orientierung, Labels und Reaktionen in den sozialen Medien…
Jenny! Wie hast du erkannt, dass du auf Frauen stehst – und was an dieser Feststellung hat dazu geführt, dass du dich fortan als lesbisch bezeichnet hast?
Es fing damit an, dass ich einfach keinen Freund wollte und mir keine Beziehung mit einem Jungen vorstellen konnte. Das war einfach für mich so, ich habe mir gar keine Gedanken darüber gemacht, ob etwas mit mir anders sein könnte. Aber dann habe ich ein paar lesbische Bücher gelesen und irgendwie waren die Geschichten darin, also die Beziehungen zwischen den Frauen, viel vertrauter für mich als die herkömmlichen Beziehungen zwischen Mann und Frau. Das hat sich für mich einfach richtiger angefühlt. Dann habe ich angefangen, lesbische YouTuberinnen zu schauen und so kam langsam, dass ich mir über mich Gedanken gemacht habe. Schließlich habe ich dann eine lesbische Jugendgruppe besucht. Ich hatte zwar mal einen Freund und das war auch OK – aber es war auch nichts Weltbewegendes. Also habe ich mich dann als lesbisch bezeichnet, weil für mich war klar war, dass ich eigentlich nichts mit Jungen haben will. Die Bezeichnung “bi” war für mich auch falsch – weil ich nicht zu 50% auf Männer stehe.
Ok! Aber dir war schon immer klar, dass du zumindest zu ein paar Prozent auf Männer stehst?
Also ich habe Männer nie unattraktiv gefunden – nur konnte ich mir keine Beziehung mit einem Mann vorstellen. Ich habe von Anfang an nicht ausgeschlossen, dass ich mal etwas mit einem Mann haben könnte. Eigentlich habe ich mich so als 80% lesbisch bezeichnet, mit 20% Hetero-Anteil. Das Label “lesbisch” habe ich also gewählt, weil ich überwiegend lesbisch bin.
Inwiefern war es wichtig für dich, dir eine Bezeichnung geben zu können?
Für mich war es vor allem am Anfang wichtig, weil ich das Gefühl hatte, dass ich mich einordnen kann und dass ich irgendwo dazugehöre. Ich denke, dass das zunächst auch einfacher ist – dann hat man Zeit, sich damit anzufreunden. Inzwischen ist das für mich aber nicht mehr wichtig, denn ich habe gemerkt, dass es egal ist, als was man sich bezeichnet – schließlich verliebt man sich ja in den Menschen.
Ja, wobei ich hier gerne nachhaken möchte, weil ich mir zu dem letzten Satz „Man verliebt sich in den Menschen, nicht in das Geschlecht“ einige Gedanken gemacht habe in letzter Zeit! Ich zum Beispiel habe mich immer nur in Frauen verliebt – und natürlich sind Frauen auch einfach nur Menschen – aber scheinbar hat das ja doch irgendwie irgendetwas mit dem Geschlecht zu tun…?
Bei mir ist das ja auch so, dass ich mich öfter in Frauen verliebt habe und eigentlich so gut wie gar nicht in Jungs… Aber ich denke mir halt, wenn ich mich jetzt in einen Jungen verliebe, warum sollte das falsch sein – er ist ja auch nur ein Mensch und in den verliebe ich mich eben. Letztendlich ist das Geschlecht egal.
Du hast als Booktuberin angefangen und dort auch nach deiner Rezension von “Lesbisch für Anfängerinnen” dein Coming-out im Internet gehabt. Warum das Coming-out vor der Kamera?
Ich hatte mich zuvor schon im privaten Bereich geoutet. Bei meiner Rezension zu “Lesbisch für Anfängerinnen” habe ich dann erzählt, die Liebesgeschichte sei genauso schön wie eine “normale” Liebesgeschichte. Daraufhin kamen Kommentare wie “Sowas sollte man nicht sagen, wenn man nicht selbst lesbisch ist!” – nun ja und dann habe ich im nächsten Video eben gesagt, dass ich auch lesbisch bin.
Nach einer Zeit hast du einen zweiten YouTube-Kanal eröffnet, RainbowCookie – wie kamst du darauf und was war dein Ziel?
Ich bekam auf meinem Bücherkeks-Kanal immer mehr Anfragen, ob ich mal was zum Thema Lesbischsein erzählen könnte. Das hat aber thematisch überhaupt nicht auf den Kanal gepasst, als wollte ich das trennen. Generell hatte ich große Lust über die Thematik zu sprechen. Mein Ziel war es, anderen zu helfen. Mir selbst haben YouTuberinnen damals auch geholfen – wobei es im deutschen Raum nicht so viele gibt.
Nun hat sich etwas Unerwartetes bei dir ergeben – du hast dich in einen Mann verliebt. Wie war es für dich, mit diesen Gefühlen konfrontiert zu werden? Musstest du nicht einiges, was für dich eigentlich klar gewesen ist, wieder in Frage stellen?
Ich war total verwirrt, als ich mich in ihn verliebt habe. Es war richtig komisch – denn ich dachte ja, ich verliebe mich nur in Frauen. Das ist wie für eine Frau, die sich zum ersten Mal in eine Frau verliebt – nur andersherum! Aber ich habe mich damit abgefunden, denn warum sollte ich mich dagegen sträuben, wenn er mich glücklich macht und alles perfekt passt. Es hat sich richtig angefühlt und ich dachte, dann kann das auch nur richtig sein.
Hattest du Bedenken, was das mit deinem Kanal und den mehr als 3000 Followern machen könnte? Du hast es dort auch noch nicht kommuniziert. In einem Video deutest du an, dass es Veränderungen für dich gegeben habe – aber du sprichst nicht aus, welche.
Diese Andeutungen haben Leute denken lassen, dass ich jetzt eine Freundin hätte – was natürlich prima zu der Thematik gepasst hätte. Manche sind aber so schon drauf gekommen. Ich wollte das Thema einfach noch nicht so breit treten, sondern erst einmal selbst überlegen, wie ich mit dem Kanal weitermache. Aber naja, ich bin jetzt nicht so jemand, der extrem viel Wert darauf legt, wie viele Follower ich habe. Ich verstelle mich auch nicht, damit ich mehr Abonnenten bekomme.
Auf Instagram bist du dann recht offen mit deiner Beziehung umgegangen. Wie waren die Reaktionen in der Community?
Ich habe ziemlich unterschiedliche Reaktionen bekommen. Viele waren positiv und haben mir alles Gute gewünscht. Manche waren natürlich verwundert, anderen war es einfach egal. Wieder andere fanden es komisch.
Deine Videos hast du zwischenzeitlich auf privat gesetzt – warum? Hast du daran gedacht, den Kanal aufzulösen?
Es stand nie zur Debatte, den Kanal einzustellen. Ich habe ja immer noch meine Erfahrungen und genug Ideen, über die ich sprechen kann. Ich wusste nur erst einmal nicht, wie ich weitermachen sollte und wollte in Ruhe darüber nachdenken.
Wenn dich heute jemand nach deiner sexuellen Orientierung fragen würde, was würdest du antworten?
Ich würde antworten, dass ich mich als gar nichts bezeichnen will. Ich verliebe mich in den Menschen und welches Geschlecht der Mensch dann hat, ist mir egal. Ansonsten würde ich das sagen, was ich mir selbst auch immer gesagt habe: Dass ich zu 80% auf Frauen stehe und zu 20% auf Männer – aber dass ich jetzt eben in einen Mann verliebt bin.
Wie stehst du heute zu Labels – brauchen wir überhaupt noch Bezeichnungen wie “schwul” oder “lesbisch”?
Ich denke, es ist jedem selbst überlassen, als was er sich bezeichnen will. Für manche ist es besser, wenn sie sich klar irgendwo zuordnen können. Für manche ist es wiederum überflüssig. Ob es unbedingt nötig ist, weiß ich nicht, denn theoretisch ist es egal, in wen man sich verliebt. Aber alles wird als irgendetwas bezeichnet. Deswegen glaube ich, dass man von den Labels nie komplett wegkommen wird.
Vielen Dank für das Interview und noch viel Erfolg – sowohl im Privaten als auch mit RainbowCookie! 🙂
Oktober 14, 2016 um 4:00 pm
Ciao Lina & Jenny
Kennt ihr diese ziemlich inklusive Definition von bi?
“I call myself bisexual because I acknowledge that I have in myself the potential to be attracted – romantically and/or sexually – to people of more than one sex and/or gender, not necessarily at the same time, not necessarily in the same way, and not necessarily to the same degree.” https://robynochs.com/quotes/ (Robyn Ochs; Bisexual Activist)