Die Briefe, die ich Dir nicht schreibe, erzählen Geschichten, die Dich interessieren könnten.
Von zwei Abenteurern auf dem Weg ins Irgendwo. Von lauen Abenden auf betagten Autositzen,
die eine Hand am Steuer, die andere am Malzbier, den Blick stets nach vorn gerichtet. Von zwei Singvögeln, die gerade ihre Stimmen entdeckt hatten und nun in unterschiedlichen Tonhöhen, nicht immer textsicher – aber laut – die Radiohits ihrer Zeit zwitscherten, völlig überzeugt davon, dass diese Lieder nur ihnen gehörten, ihnen allein, während das Auto eine Meile nach der anderen hinter sich brachte.
In detailverliebten Zeilen schildern diese Briefe, die ich Dir nicht schreibe, wie die Abenteurer ihre gewohnten Straßen verließen, mal, weil der eine es so wollte, mal, weil dem anderen danach war, mal, weil beide es für richtig hielten und auch mal, weil die Straßen es nicht anders zuließen. Eindrucksschwer klingen diese Sätze, die jene Zeiten schildern. Sie sprechen von vielen Erlebnissen, großen Entdeckungen und einer ganzen Reihe weiterer Geschichten – aber auch von Unsicherheit, Rastlosigkeit und der zunehmenden Angst vor der nächsten Kreuzung.
Dort, wo die Schrift krakeliger wird, schildern die ungeschriebenen Briefe die Episode, in der sich die Abenteurer verfuhren und in heftigen Streit ausbrachen. Wer hatte sich ursprünglich für welche Abfahrt ausgesprochen? Und wer saß eigentlich am Steuer, als das Auto schließlich über den Stein bretterte, der den Reifen später zum Platzen brachte? Beide hatten ihre eigenen Antworten. Mit einem bedauernden Unterton erzählen die Briefe, wie sich die Abenteurer zu dumm anstellten, den Reifen zu wechseln. Wie sie sich müde und entnervt neben das Auto setzten, anschwiegen und jeder für sich stumm die ganze Reise in Frage stellte.
Und dann stand einer auf. Während der eine Abenteurer beim Auto blieb, gestrandet und auf Hilfe wartend, nahm der andere Abenteurer seine Sachen und ging zu Fuß weiter. Er sah nicht mehr zurück.
Diese Briefe, die ich Dir nicht schreibe, wären voll. Jeder Zentimeter Pergament wäre beschrieben. Sie wären dick. Ich bräuchte viele Umschläge, um sie zu verschicken. Aber gerade fehlt mir das Papier. Und der Briefkasten. Und wohin sollte ich sie adressieren? Wo auch immer Du gerade bist, auf Deiner Rucksacktour durch die Wildnis, in Begleitung, natürlich…
Während ich immer noch das Auto repariere. Im Kopf die Briefe, die ich Dir nicht schreibe.