Als großer Die Tribute von Panem-Freund bin ich am Mittwochabend direkt in die Vorpremiere des letzten Teils „Mockingjay Part II“ gegangen. Ich kannte die Bücher und somit auch das Ende, das mich erwarten würde. Und trotzdem fand ich es verstörend.
Die Tribute von Panem ist eine große Geschichte. Es geht um Leben und Tod, eine blutige Revolution, die manipulative Macht der Medien und, natürlich, um Liebe. All das getragen von der weiblichen Protagonistin Katniss Everdeen. Als ich mich im Rahmen der Instagram #30daybookchallenge zuletzt fragen musste, wer der beste weibliche Buch-Charakter überhaupt wäre, habe ich mich für Katniss entschieden. Warum? Sie ist Mittelpunkt einer der erfolgreichsten und auch gesellschaftskritischsten Trilogien der letzten Jahre, wenn nicht aller Zeiten. Welcher weibliche Charakter kann das noch von sich behaupten?
Katniss ist eine mitreißende Heldin, die eigentlich eine wahre Anti-Heldin ist – unfreiwillig in die Rolle der Rebellin hineingerutscht, verhält sie sich unangepasst, unbeholfen und bisweilen uncharmant. Was sie sympathisch macht, ist ihre Authentizität. In ihren eindrucksvollsten Momenten – wenn sie sich für ihre Schwester in die Hungerspiele begibt, wenn sie voll Trauer und Wut nach Rues Tod den Dreifingergruß provokant an die Kameras richtet, wenn sie in diversen Propagandafilmen zur Rebellion aufruft – dann handelt sie strikt ihren Emotionen nach; vielleicht kopflos und manchmal naiv, aber immer menschlich und zutiefst leidenschaftlich. In den Hungerspielen und der Rebellion profiliert sich Katniss dadurch, nicht zimperlich zu sein und oftmals einfach knallhart. Sie ist eine wahrlich starke Frau. Dazu ist sie auch noch Bogenschützin, was ich schon immer irgendwie sexy fand.
Nicht einmal der romantische Handlungsstrang vermag Katniss zu verweichlichen. Die Tribute von Panem schert sich nicht um typische Rollenklischees. Gutmütig, sanft, mit künstlerischem statt kämpferischem Talent gesegnet, oftmals in der Situation, gerettet werden zu müssen – der männliche Hauptcharakter Peeta ist das eigentliche, stereotype Mädchen der Geschichte. Das Einzige, was mich je im Verlauf der Story wirklich entnervte, waren Katniss ständige Zweifel darüber, ob sie Peeta oder doch eher Gale liebte. Diesen Konflikt empfand ich im Buch allerdings als viel dominanter als in den Filmen. Deswegen, und nicht zuletzt wegen der tollen Besetzung und allen voran der großartigen Jennifer Lawrence, gefielen mir die Tribute-Filme besser als die Bücher. Ein seltenes Phänomen.
Und dann kam „Mockingjay Teil II“.
Ich wusste, das Ganze endet ohne strahlendes Feuerwerk und Heldenfeier. Ich wusste, das Versöhnliche am Ende des ganzen Leidenswegs ist die finale Zusammenführung des Liebespaars – und das fand ich, sowohl in Buch als auch Film, schön so. Es gibt einfach nicht viel zu feiern nach all dem Verlust – und die Rückbesinnung auf zwischenmenschliche Bindung und Liebe, auf das kleine Glück in kaputten Zeiten, empfand ich als angenehm. Die Szene im Film, in der Katniss und Peeta in der Haustür sitzen und dem prasselnden Regen lauschen, fand ich schlicht und ergreifend – so melancholisch und gleichzeitig hoffnungsvoll: Hier sind wir, wir haben das überstanden und die Welt dreht sich noch, der Regen wäscht hinfort, was war… Ich wusste, dass das Buch mit einem Blick in Katniss Zukunft endet und dass ich diesen etwas lahm fand. Ich war also vorbereitet, auch wenn ich hoffte, der Film würde einfach vorher Schluss machen und den Zuschauern selbst überlassen, wie sie sich Katniss weiteres Leben vorstellen. Aber. Nein. Schnitt, neue Szene: Katniss im Kleid auf einer grünen, sonnengefluteten Wiese. Mit Baby auf dem Arm. Voll Sanftmut beobachtend, wie Peeta mit dem älteren, blondgelockten Kind lacht und spielt.
Ein Raunen ging durch das Kinopublikum und ich selbst musste mir das Lachen verkneifen. Ein Lachen nervösen Fremdschämens! Was ein Bruch. Was ein gewalttätiger Bruch mit der bittersüßen Stimmung der Szenen zuvor, und welch überhaupt nicht nachzuvollziehender Sprung von Panem mitten hinein in eine vor Klischees nur so strotzenden Blümchenwiesen-Szene, wie ich sie am Ende einer Jane Austen Verfilmung erwarten würde! Und die sind noch weniger kitschig! Das Ende von Katniss dramatischer Helden-Reise, die Moral ihrer Rebellionsgeschichte, die so wunderbar ohne Rollenklischees auskam – ist also tatsächlich Mutterschaft und Familienidyll.
Ich möchte jetzt noch kotzen.
Nicht, weil ich etwas gegen Mütter habe, oder Katniss nicht ein schönes Familienleben wünschen würde. Die Darstellung ist nur so verdammt irritierend. Katniss als passiv dreinschauende, babyschaukelnde Mutti – zu welchem Zeitpunkt der Geschichte hat sie denn jemals ansatzweise diese Qualitäten durchblicken lassen? Wie zum Teufel ist sie denn vom Mädchen, das in Flammen stand, zur Hausfrau, die das Kindlein wiegt, geworden?! Ich kann ihr das nicht abnehmen. Das war`s dann mit der Authentizität.
Es ist fürchterlich, am Ende einer geliebten Bücher- oder Filmreihe mit einem derart überrumpelnden Bild entlassen zu werden. Gut, die Autorin hat es so geschrieben, der Regisseur hat es in umso bunteren Farben umgesetzt – da kann ich als Zuschauer nix dran machen. Was tun? Ich versuche es mit ignorieren. Ich will Die Tribute von Panem nicht von nun an mit diesem schnulzigen Schlussbild verbinden müssen. Ich will die Geschichte weiterhin als Kriegs-, Medien- und Geschlechterrollenkritisch sehen, als düsteren Heldinnenepos, der packt, der Fragen aufwirft, der sich nicht zufrieden gibt mit Friede, Freude, Eierkuchen! Das Ende mag damit brechen. Aber, so sage ich mir: Es vermag nicht die Essenz der Geschichte zu verkitschen.
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